Für die neue Lokomotive kam grundsätzlich nur ein sechsachsiges
Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht von 120 t in
Frage. Damit aber auf den Steilrampen des Gotthards von
27o/oo maximale Anhängelasten von 800 t gegenüber 650 t
der Ae6/6 in Einzeltraktion befördert werden können, waren
die Adhäsionseigenschaften zu verbessern. Diese Maßnahme
verbunden mit der Forderung, daß die Lokomotive mit erhöhten
Kurvengeschwindigkeiten, d. h. nach der Reihe R,
verkehren kann, führten zu einer Erhöhung der Leistung von
rund 6000 PS (Ae6/6) auf rund 11000 PS. Die Erfüllung der
Forderung zur Fahrt nach der Reihe R führt auf den kurvenreichen
Strecken des Gotthards zu einer merklichen Steigerung
der mittleren Fahrgeschwindigkeit und zu entsprechenden
Fahrzeitverkürzungen. Mit Rücksicht auf einen späteren
Einsatz der Lokomotive in dem zur Diskussion stehenden
Gotthard-Basistunnel wurde ihre Höchstgeschwindigkeit auf
140 km/h angesetzt. All diese Forderungen legten den zu
bauenden Lokomotivtyp fest und führten zur Seriebezeichnung
Re6/6.
Bei der Aufstellung des Pflichtenheftes für das neue Fahrzeug
konnten die SBB weitgehend von den mit den vierachsigen
Hochleistungslokomotiven der Typen Re4/4 II und
Re4/4 III gemachten Messungen und Erfahrungen ausgehen.
Es galt dabei vor allem, die ausgezeichnete Adhäsionseigenschaften
sowie das günstige Verhalten der vierachsigen Lokomotive
bezüglich der zwischen Rad und Schiene auftretenden
Seitenkräfte auf das sechsachsige Fahrzeug zu übertragen.
Die vier im Jahre 1969 von den SBB in Auftrag gegebenen
Prototyplokomotiven Re 6/6 ll601-11604 entstanden in enger
Zusammenarbeit zwischen der Abteilung Zugförderung
und Werkstätten der SBB in Bern, der BBC Aktiengesellschaft
Brown, Boveri & Cie., Baden, als Lieferant des elektrischen
Teils, und der Schweizerischen Lokomotiv- und
Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur, dem Lieferanten des
mechanischen Teils.
Damit die Lokomotive zur Fahrt mit erhöhten Kurvengeschwindigkeiten
entsprechend der Reihe R zugelassen werden
kann, ist die Forderung nach kleinen Seitenkräften zwischen
Rad und Schiene bedingungslos zu erfüllen. Dies schloß
bei der Re 6/6 von Anfang an die Anwendung dreiachsiger
Drehgestelle wie bei der Ae 6/6 mit der Achsanordnung Co'Co'
aus. Die Re6/6 erhielt deshalb drei zweiachsige Drehgestelle
(Achsanordnung Bo'Bo'Bo'), die gegenüber den dreiachsigen
zu wesentlich kleineren quasistatischen sowie dynamischen
Seitenkräften zwischen Rad und Schiene führen. Auch bei
dieser Lokomotive war, wie bei der Ae 6/6, der Einbau einer
die Drehgestelle verbindenden Querkupplung notwendig, um
die zwischen Rad und Schiene auftretenden quasistatischen
Richt-, Führungs- und Schwellenkräfte zu begrenzen. Zur
Erfüllung der Forderung nach einer möglichst guten Ausnutzung
des Adhäsionsgewichtes wurde, wie bei den Re 4/4 II und
Re 4/4 III-Lokomotiven, für die Zugkraftübertragung die
Tiefzugvorrichtung vorgesehen.
Bei der Konzeption des mechanischen Teils der Lokomotive
war davon auszugehen, daß die elektrische Ausrüstung,
wie bei den Re 4/4 II- und Re 4/4 III-Lokomotiveni,n klassischer
Weise, d. h. für die Speisung der Fahrmotoren mit Wechselstrom
von 16] Hz, auszuführen ist.
Für die SLM war die gestellteA ufgabe in mancher Hinsicht
nicht völlig neu. da die Firma bereits Ende der fünfzigerJ
ahref ür die RhätischeB ahn sechsachsigLeo komotiven
des Typs Ge 6/6 und der Achsfolge Bo'Bo'Bo'entwickelt hatte.
von denen bis zum Jahre 1965 insgesamt sieben Einheiten
gebaut wurden [2]. Die mit diesen Fahrzeugen gewonnenen
Erkenntnisseb ildetene ine wichtige Grundlagez ur Entwicklung
des mechanischenT eils der Re 6/6-Lokomotiven. Die
ersten Studien für diese Lokomotiven sahen denn auch in
gleicher Weise wie bei den Ge6/6 einen in zwei Hälften unterteilten
Lokomotivkasten vor, die durch ein auf Zughakenhöhe liegendes
Gelenk verbunden sind. Dieses Gelenk läßt eine
freie Relativbewegung der beiden Kastenhälften um eine feste
Querachse zu. In Kombination mit den Drehgestellen (mit
der Tiefzugvorrichtung ausgerüstet) ließ diese Lösung ein
sehr gutes Verhalten bezüglichd er statischen Achsentlastungen
und -belastungen erwarten.
Eine Zweiteilung des Kastens ist jedoch auch mit verschiedenen
Nachteilen verbunden. Die Lokomotive wird im Aufbau
des mechanischen und bezüglich der Gestaltung des
elektrischen Teils komplizierter. Ein zweiteiliger Kasten erschwert
dessen Handhabung in den Unterhaitswerkstätten
oder auf der Strecke nach Entgleisungen. Zudem ist eine
Lokomotive mit zweiteiligem Kasten der einteiligen Ausführung
bezüglich des Fahrkomforts bei höheren Geschwindigkeiten
eher unterlegen. Die SLM untersuchte von Beginn an
auch Möglichkeiten, die Lokomotive mit ungeteiltem Kasten
zu bauen, die gleichzeitig die Forderung nache einer optimalen
Achsdruckverteilung in Abhängigkeit von den Zugkräften zu
erfüllen vermochten. Die Studien führten zu verschiedenen
Lösungsvarianten, die sich vor allem in der Ausführung der
zwischen dem Kasten und den Drehgestellen angeordneten
Sekundärfederung unterscheiden.
Eine Variante war durch die Ausbildung der Sekundärfedern
als Luftfedern gekennzeichnet. Mit pneumatischem
Parallelschalten der Luftfedern des vordern und mittleren
Drehgestells gelingt es, die Forderung nach einem optimalen
Achsdruckausgleich weitestgehend zu erfüllen. Der Einbau
der integralen Luftfederung verschafft zudem die Möglichkeit,
die Neigung des Lokomotoivkastens um seine Längsachse
zu steuern. Dies ist besonders bei der Fahrt mit hohen
Geschwindigkeiten in Kurven von Vorteil. Der Kasten wird
hier zur teilweisen Kompensation der auf ihn wirkenden
freien Seitenbeschleunigung in einem von Kurvenradius und
Geschwindigkeit abhängigen Maß nach der Kurveninnenseite
geneigt.
Eine gute Achsdruckverteilung beim einteiligen Kasten
läßt sich auch durch den Einbau von Sekundärfedern unterschiedlicher
Weichheit über den äußeren Drehgestellen sowie
über dem mittleren Drehgestell erzielen. Die Größe der effektiven
Federsteifigkeiten für optimale Achsdruckverhältnisse
ist dabei maßgebend abhängig von der Neigung der Tiefzugstangen.
die die Drehgestelle mit dem Kasten verbinden.
Kennzeichnend für diese Lösung ist, daß die Federkonstante
der Sekundärfedern über dem mittleren Drehgestell wesentlich
kleiner sein muß als jene der Federn über den beiden äußeren
Gestellen. Konstruktiv kann diese Forderung weitgehend
optimal erfüllt werden, wenn die Sekundärfedern des mittleren
Drehgestells als Luftfedern mit großem Zusatzvolumen ausgebildet
werden, während für die Sekundärfederung der äußeren
Gestelle Schraubenfedern verwendung finden. Beim Einbau
von Schraubenfedern über allen Drehgestellen ist es
nicht möglich, den Idealfall vollkomnen zu verwirklichen,
da sich die erforderliche große Weichheit der Schraubenfedern
über dem mittleren Drehgestell aus Dimensionsgründen
nicht erreichen läßt. Die Abweichung vom Ideallall kann
jedoch in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten werden.
Bei den vier Re 6/6-Prototyplokomotiven wurden sämtliche
erwähnten Haupt- und Untervärianten verwirklicht. Die
Re6/6 11601 und 11602 wurden mit zweiteiligem Kasten und
weitgehendg leichen Drehgestellen wie bei der Re4/4 II gebaut.
Für die Lokomotiven Re6/6 11603 und 1i604 kam
der einteilige Kasten zur Ausführung, wobei durch schrittweises
Umgestalten der Fahrzeuge folgende Elemente zum
Einbau gelangten:
- Verschiedene Kombinationen der integralen Luftfederung
- Integrale Schraubenfederung
- Schraubenfederung über den äußeren Drehgestellen und
Luftfcderung über dem mittleren Drehgestell. |